Der Hobbyfotograf

„Moni!, Monika!“, die Gerufene, lächelte verlegen. 
 „Entschuldigen sie, mein Mann braucht mich. Ich komme Stefan!“, rief sie und eilte zu dem untersetzten Mann, der stirnrunzelnd mit einer Kamera hantierte.


 Die Zurückgelassenen, eine blonde Gymnasiallehrerin - Geschichte und Altgriechisch - und der drahtige Mittfünfziger, mit denen sie sich unterhalten hatte, wechselten einen Blick. 
 „Stefan ist der Objektivdeckel weggerollt“, feixte die Lehrerin.
 Die Teilnehmer der Tour, ‚Dem Mythos auf der Spur – Erwandern des Olymp‘, kannten Stefans ‚Monika‘ Rufe schon zur Genüge. Er stieß ihn immer aus, wenn er Unterstützung brauchte, egal ob zum Brotschneiden oder beim Objektivwechsel.
 „Was hockst Du denn schon wieder bei den beiden“, schimpfte er, während seine Frau das Objektiv wechselte. „Ich mag das nicht. Gymnasiallehrerin und Gymnastiklehrer, gleich und gleich gesellt sich gern.“
 „Thomas ist Physiotherapeut“, sagte Monika und reichte ihm die Kamera.
 „Wir machen morgen früh übrigens zusammen den Sonnengruß.“
 Stefan rümpfte die Nase. „Ich fotografiere den Sonnenaufgang, die Hampelei mach ich nicht mit.“
 Als sich die Gruppe am nächsten Morgen zum Frühstück traf, sah sich Monika um. „Hat jemand meinen Mann gesehen?“
 Als er auch nach einer halben Stunde noch nicht auftauchte, wurde ein Suchtrupp ausgeschickt. 

Stefans Kamerarucksack wurde am ungesicherten Osthang gefunden. Betreten sah die Gruppe in die Schlucht hinunter, wo ein roter Fleck im Geröll lag.
„Das ist seine Jacke“ stammelte Monika und erbleichte.
Der einheimische Bergführer murmelte etwas auf Griechisch.
„Was hat er gesagt?“, fragte jemand.
„Das nach drei Tagen die Tiere nur noch das Skelett übrig lassen“, übersetzte die Lehrerin hilfreich und schlug sich auf den Mund, als Monika einen Schrei ausstieß und zusammenbrach.
Die polizeiliche Untersuchung ergab „Tod durch Unfall“.
Die Tour wurde abgebrochen und die völlig gebrochene Monika wurde von der Lehrerin zum Flughafen gebracht.

Sechs Monate später:
 „Hat die Versicherung gezahlt?“, fragte Thomas.
 Monika nickte. „Zwei Millionen“, antwortete sie.
 „Schon als ich bei der ersten Massage damals deine blauen Flecken gesehen habe, hab ich mir gedacht, warum bringt sie ihn nicht einfach um.“


 Stefans „Moni!“ bei Sonnenaufgang war sein letztes gewesen. Sie hatte ihm geholfen, den, in die Schlucht gerollten, Objektivdeckel zu finden.