Wiedersehen

Bild mit KI erstellt

San Francisco International Airport steht über dem Ausgang und mein Herz klopft bis zum Hals.

Mom wagt sich in den Sündenpfuhl. So ähnlich hat sie es formuliert, als sie zugesagt hat, meiner immer wieder ausgesprochenen Einladung zu folgen. „Dad kommt nicht mit“, hat sie gesagt. „Der Stall, die Tiere, du weißt schon.“
Ja ich weiß. Dad wird Montana bestimmt nicht verlassen, um gerade mich zu besuchen.

Webdesigner, das ist doch kein Beruf“, hat er gebrummt, als ich ihnen gesagt habe, dass ich ein Angebot aus dem Silicon Valley habe. An meiner Graduierung hat die Farmervereinigung ihre jährliche Versammlung gehabt. Das war natürlich wichtiger als diese Unifeier. 
Seitdem sehe ich meine Eltern nur, wenn ich nach Montana fliege, also zu Thanksgiving.

Ich rücke an meinem Monokel rum, auch so eine Marotte, die Dad schrecklich findet. Dass meine Ohren so unterschiedlich hoch sind, dass jede Brille drückt, war für ihn eine alberne Ausrede. Natürlich trage ich längst Kontaktlinsen, aber ich will, dass Mom mich erkennt.
Schließlich sind meine Haare inzwischen lang und auch die Karohemden und Levis, die ich in Montana trage, um dazu zu gehören, habe ich im Schrank versteckt.

Plötzlich steht sie vor mir. „Samuel!“ Seit wann ist ihre Stimme so brüchig und sie so klein?
„Mom!“ Will sie von mir umarmt werden? Augenscheinlich schon, denn sie legt ihre Hände auf meine Schultern und drückt mich an sich. Und ich mich an sie. Wie früher.
Dann schiebt sie mich weg und schaut mich von oben nach unten an. Lange.

Sie streckt die Hand aus, als wolle sie meinen Busen anfassen, doch lässt sie wieder sinken. „Ist das echt?“
Ich nicke. Gleich wird sie sich umdrehen und den nächsten Flug zurücknehmen. Wird in Montana erzählen, dass ich gestorben bin oder was auch immer.

„Mom ich – wollte es Dir sagen, aber …“
Sie starrt mich an und ich halte kurz inne, doch dann gebe ich mir einen Ruck.
„Ich nenne mich jetzt Samantha“, sage ich, anstatt einfach die Klappe zu halten. Ich habe Stille noch nie ausgehalten.
Ihre Lippen zucken.

„So hättest Du geheißen, wenn du …“ Ihre Stimme zittert. „... wenn du gleich ein Mädchen gewesen wärst.“
Dann greift sie nach ihrer Tasche, die achtlos am Boden gelandet ist.
„Fahren wir? Du musst mir alles erzählen. Und wenn du schon so schwere Operationen hattest, warum hast du dir nicht auch die Ohren richten lassen? Ich hasse dieses Monokel.“