Missverständnis

Alle auf der Back–to-Uni-Party schienen sich zu kennen. Sie prosteten sich zu und schlugen sich mit Füßen, Ellenbogen oder Fäusten ab. Leni kannte ihre Kommilitonen nur vom Screen.
Das Wohnheim füllte sich wieder, aber viele hatten es sich in ihren Kinderzimmern in der Vorstadt und auf dem Dorf gemütlich gemacht. War ja egal, wo man die Vorlesung hörte.
Erst mal ein Bier. An der Bar stieß sie auf eine Wand von Flanellhemden. Keine Chance durchzukommen. Vielleicht sollte sie mit ihrem nassen Regenschirm Platz schaffen. Endlich drehte sich einer der Riesen mit zwei Bier in der Hand um, doch bevor Leni sich vorbeidrängen konnte, war die Lücke zum Barkeeper schon wieder dicht.
„Upps“, sagte der Typ. „Was willst Du mit dem Schirm?“
„Zur Bar durchkämpfen!“
Er sah sich um. „Vergiss es! Aber Du kannst mein zweites Bier haben. Mein Kumpel ist weg, wäre schade, wenn es warm wird.“ Leni sah hoch. Südländischer Typ, bayrischer Zungenschlag, braune Augen, Zahnreinigung-de-luxe gepflegte, weiße Zähne und dunkle, wuschelige Haare.
Wow!
Sie holte Luft. „Gern“, sagte sie.
„Da!“ Der süße Typ gab ihr die Flasche.
Leni prostete ihm zu. Er öffnete den Mund, doch in dem Moment drehte der Discjockey die Anlage auf Anschlag.
Leni verstand ‚Mentor‘. Er deutete in die Ecke, in der die Chillout-Ecke lag.
Augenscheinlich war er einer der Veranstalter. Nett, dass er sich um sie kümmerte.
Sie ließen sich in Polster fallen. Hier verstand man was. „Wie heißt Du?“, fragte Wuschelkopf.
„Leni!“ Und weil ein einziges Wort echt sparsam war, schob sie nach. „Ich studiere Mathe und Du?“
„Jura. Viertes Semester, zwei davon vor dem Laptop.“
Und schon tauschten sie Leidensgeschichten über die Pandemie aus.
Er erzählte wahnsinnig komisch. Und hatte eine wunderbare Stimme. Aber sie hatte keine Ahnung, wie er hieß. Konnte sie jetzt noch fragen? Peinlich war das.
„Jassu!“ Ein Typ stand vor ihnen und redete los.
„Halt die Luft an, Kostas und sag Hallo zu Leni. Leni, das ist Kostas. Wir sind gemeinsam aufgewachsen.“
Leni brauchte ein paar Momente, bis sie erkannte, welche Sprache dieser Kostas sprach. Und ein paar mehr Momente, bis der Groschen fiel.
„Du heißt Mentor“, platzte sie raus. „Wie der aus Odysseus. Der Lehrer von Telemachos.“
Mentor sah sie erstaunt an. „Ja hab ich doch gesagt.“
„Ich dachte, Du bist hier Mentor. Und kümmerst Dich um die, die alleine rumstehen.“
„Nur wenn sie sympathisch sind.“