Aberglauben

Erika hat mich heulend angerufen.
„Wir treffen uns im Möbelhaus.“
Natürlich bin ich sofort losgefahren. Wenn die Freundin, die man seit fünfundsechzig Jahren kennt, weint, dann lässt man alles liegen und stehen.
Sie steht schluchzend am Bein von diesem Riesentisch, der das Markenzeichen des Möbelgiganten ist.
„Erika, was ist los.“
„Er ist ausgezogen.“
Er, das ist Erich, ein halbseidener Gigolo, der seit zwei Jahren bei ihr wohnt.
Ein Trottel, ehrlich. Der ist so abergläubisch, das ist schon manisch. Er wollte mich nie mit Erika besuchen, denn mein Kater Mohrle hätte seinen Weg ja von links kreuzen können.
Und als Erika und ich an einem Freitag, den Dreizehnten zu einem Konzert gegangen sind, ist der Spielverderber im Bett geblieben. Die teure Karte hat er verfallen lassen.
Erika ist besser dran ohne ihn, hundertpro, sie kommt schon noch drauf
„Warum das denn? Habt ihr Euch gestritten?“
Erika schnieft.
„Es war an der Baugrube. Er ist links rum und ich rechts herum. Plötzlich ist er stehen geblieben und hat gesagt: ‚das war’s. Jetzt trennen wir uns‘.“ Sie schnieft in ein Taschentuch. „Ich kannte diesen Aberglauben gar nicht.“
„Aber es kann auch daran liegen, dass Lydia Wegemann in eine größere Wohnung gezogen ist.“
Ich habe Lydia schon lange im Verdacht, dass sie ein Auge auf den Gigolo geworfen hat. Es war peinlich, wie sie ihn immer umgarnt hat.
„Wenn er bei Lydia eingezogen ist, warum treffen wir uns am Möbelhaus?“
„Ich brauche eine neue Wohnzimmereinrichtung. Er hat alles mit zu Lydia genommen. Nur die Viermeterleiter, die hat er in der Garage stehen lassen.“
Eine Leiter! Da kommt mir eine Idee.
„Hallo Erich“, flötete Erika ins Telefon. „Ich stehe vor Lydias Haus und wollte dir noch die Sachen bringen, die du vergessen hast. Kommst Du schnell raus, bitte. Ich will nicht klingen.“
Sie legte auf.
„Er kommt.“
Wir stehen vor Lydias Haus und warten gespannt.
Und da öffnet sich die Tür. Erich sieht erst Erika und kommt auf sie zu. Als er mich entdeckt, bleibt er abrupt stehen.
Ich nicke ihm zu.
„Erich, wir haben dir die Leiter gebracht.“ Er runzelt die Stirn.
„Wo ist sie?“
„Du bist gerade unten durch gegangen.“
Die Leiter steht aufgestellt, direkt vor der Haustür.
„Du weißt ja, wer unter einen Leiter durchgeht, stirbt bald“, grinse ich.
Er wird blass und sinkt auf den Boden.
An seiner Beerdigung sind wir immer noch verwundert, dass man auch aus Angst einen Herzinfarkt bekommen kann.